Zwei Endpunkte zum Nutzennachweis von digitalen Gesundheitsanwendungen

Digitale Gesundheitsanwendungen können in klinischen Studien mit einer Verbesserung der Gesundheitskompetenz oder Steigerung der Patientensouveränität positive Versorgungseffekte ihres Produktes nachweisen. Was so einfach klingt, ist bei genauer Betrachtung kein leichtes Unterfangen.

VR Brille und Person in Yoga Sitz auf blauer Matte
©Eren Li_Pexels
Digitale Gesundheitsanwendungen

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden, sobald das Produkt im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet ist, von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Um in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen zu werden, muss der Hersteller einen Antrag beim BfArM stellen, welches dann im sogenannten Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach § 139e SGB V über die Aufnahme in das Verzeichnis entscheidet. Unabdingbarer Bestandteil des Antragsverfahrens ist der Nachweis positiver Versorgungseffekte aus einer vergleichenden Studie. Endpunkte der Studie können aus zwei Kategorien stammen:

  1. Medizinischer Nutzen
  2. Patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen (pSVV)

Zu den pSVV zählen unter anderem Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität. Gelingt dem Hersteller einer DiGA der Nachweis einer statistisch signifikanten Verbesserung der Gesundheitskompetenz oder Patientensouveränität, stände einer Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis, zumindest was den Nachweis positiver Versorgungseffekte angeht, nichts im Wege.

Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität – in der Praxis zwei schwierige Begriffe

Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität stellen für Hersteller interessante Endpunkte dar, da die meisten DiGAs Inhalte aufweisen, die möglicherweise sowohl Gesundheitskompetenz als auch Patientensouveränität stärken. Klingt gut, ist aber in der Praxis eine Herausforderung.

Definition

Die Probleme fangen mit dem Fehlen einer einheitlichen Definition der Begriffe in der Wissenschaft an. Die Angaben des BfArM im DiGA-Leitfaden sind entsprechend beschreibender Natur. Gesundheitskompetenz scheint sich daran zu orientieren, ob Patienten gesundheitsrelevante Informationen finden, verstehen, einordnen, bewerten und nutzen können. Patientensouveränität hingegen befasst sich stärker mit autonomem Gesundheitshandeln und Entscheidungsprozessen der Patienten. Der Übergang zwischen den beiden Begriffen ist meiner Ansicht nach fließend, denn letztendlich stellt sich die Frage, ob Gesundheitskompetenz nicht Voraussetzung von Patientensouveränität ist und ob ein sinnvolles Handeln des Patienten nicht der sichtbare und aktive Ausdruck von Gesundheitskompetenz ist.

Messung

Die Messung von Gesundheitskompetenz oder Patientensouveränität erfolgt in der Regel durch die Befragung von Patienten oder Nutzern unter Verwendung von validierten Befragungsinstrumenten. Die Anzahl an validierten Erhebungsinstrumenten in deutscher Sprache ist dabei übersichtlich. Zur Gesundheitskompetenz sind der European Health Literacy Survey Questionnaire (HLS-EU-Q), der Short Test of Functional Health Literacy in Adults (GER-S-TOFHLA) und der Health Literacy Questionnaire (HLQ) zu nennen. Die Patientensouveränität kann über Selbstwirksamkeitsbögen, wie der Allgemeinen Selbstwirksamkeits-Kurzskala (ASKU), der Skala zur Allgemeinen Selbstwirksamkeit (SWE) oder dem Fragebogen zur Selbstwirksamkeit-Optimismus-Pessimismus (SWOP) operationalisiert werden. Die genannten Fragebögen sind allgemein (generisch) gehalten und führen zu einem Problem, das aus der Lebensqualitätsbefragung hinlänglich bekannt ist: Generische Erhebungsinstrumente sind oft nicht geeignet um Unterschiede in der Lebensqualität, Gesundheitskompetenz oder Patientensouveränität im Gruppenvergleich aufzeigen zu können. DiGA sind indikationsspezifische Anwendungen und die in den DiGA enthaltenen Informationen sprechen klar definierte Zielgruppen und deren relevante Probleme an. Hier ist der Einsatz von krankheitsspezifischen Erhebungsinstrumenten zu empfehlen, die allerdings nur sehr begrenzt in validierter Form und deutscher Sprache vorliegen.

Fazit

Die Verbesserung der Gesundheitskompetenz und/oder der Patientensouveränität könnte für jede DiGA ein interessanter Endpunkt in klinischen Studien sein. Bislang werden diese beiden Endpunkte in klinischen Studien äußerst zurückhaltend als primärer Endpunkt eingesetzt. Dies kann an der oben beschriebenen Problematik der fehlenden Erhebungsinstrumente liegen. Der Hersteller muss, um das Problem zu lösen, entweder Abstriche in der Spezifität der Befragung in Kauf nehmen oder selbst einen Fragebogen entwickeln und validieren. Die zurückhaltende Anwendung der Endpunkte Gesundheitskompetenz und Patientensouveränität kann aber auch in den Preisverhandlungen begründet sein. Endpunkte aus der Kategorie medizinischer Nutzen werden als besseres Verhandlungsargument angesehen und deshalb als primärer Endpunkt in Studien bevorzugt.


Literatur / Weiterführende Literatur / Internetquellen:

Literatur

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Das Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) nach §139e SGB V. Version. 3.0 vom 02.12.2021, abgerufen unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medizinprodukte/diga_leitfaden.html

Weiterführende Literatur:

Abel T, Sommerhalder K. Gesundheitskompetenz/Health Literacy – Das Konzept und seine Operationalisierung. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2015;58(9):923-9.

Internetquellen für die Recherche nach Erhebungsinstrumenten:

Open Test Archive: testarchiv.eu

Health Literacy Tool Shed: healthliteracy.bu.edu

Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz: dngk.de